Bach: Kantaten für Bariton
Inhalt
KANTATE BWV 56: ICH WILL DEN KREUZSTAB GERNE TRAGEN
1 Aria: Ich will den Kreuzstab gerne tragen 06:44
2 Recitativo: Mein Wandel auf der Welt 01:56
3 Aria: Endlich, endlich wird mein Joch 07:25
4 Recitativo: Ich stehe fertig und bereit 01:30
5 Choral: Komm, o Tod, du Schlafes Bruder 01:20
KANTATE BWV 82: ICH HABE GENUG
6 Aria: Ich habe genug 07:51
7 Recitativo: Ich habe genug! Mein Trost ist nur allein 01:04
8 Aria: Schlummert ein, ihr matten Augen 09:18
9 Recitativo: Mein Gott! Wann kommt das schöne: Nun! 00:43
10 Aria: Ich freue mich auf meinen Tod 03:50
KANTATE BWV 158: DER FRIEDE SEI MIT DIR
11 Recitativo: Der Friede sei mit dir 01:30
12 Aria con Corale: Welt, ade, ich bin dein müde 06:08
13 Recitativo: Nun Herr, regiere meinen Sinn 01:28
14 Choral: Hier ist das rechte Osterlamm 01:01
51:50
Impressum
Aufnahme / Recording: Juli 2003, St. Marien, Heidelberg Pfaffengrund im Rahmen der Heidelberger Bachwoche
Produzenten / Executive producers: Christoph Andreas Schäfer, Andreas Bertram
Tonmeister / Recording producer: Christian Rauterberg
Schnitt / Editing, Mastering: Andreas Bertram – www.studio05.net
Photos: Andreas Bertram (S.1), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (S. 2, 32), Irene Heimsch (S. 13)
Redaktion / Editing: Julia Frankenberger
Satz / Layout: Felix Dreher
Übersetzung / Translation: Nicola Briscoe, Katie Ranger
®+© 2008 SPEKTRAL 15543
SPEKTRAL – Donaustaufer Str. 93 – 93059 Regensburg – Germany
Best.-Nr. / Ord. No. srl4 – 08029
Alle Rechte vorbehalten. / All rights reserved.
DREI GEISTLICHE KANTATEN FÜR BARITON SOLO
Betrachtet man das schier unerschöpflich scheinende Kantatenwerk Johann Sebastian Bachs für den liturgischen Gottesdienst, so entdeckt man erstaunt, dass es lediglich zwölf Solokantaten beinhaltet. Wiederum nur drei davon – diejenigen, die auf dieser CD zu hören sind – wurden für Bariton solo komponiert. Die früheste der Kantaten für Solo-Bariton, deren Titel "Ich will den Kreuzstab gerne tragen" (BWV 56) lautet, schrieb Bach im Jahr 1726 für den 19. Sonntag nach Trinitatis. In dieser dem dritten der fünf Leipziger Kantatenjahrgänge zugeordneten Komposition werden zusätzlich zu den Streichern und dem Continuo zwei Oboen, eine Oboe da caccia und ein vierstimmiger Chor verlangt. Der Autor des Kantatentextes, der sich auf die zum Aufführungstag passende Evangeliumslesung von der Heilung des Gelähmten bezieht (Mt 9,1 – 8), ist unbekannt. Aus diesem Thema heraus erfolgt in der Kreuzstab-Kantate eine persönliche und innige Betrachtung über das menschliche Leiden und das Hoffen auf besseres jenseitiges Leben, die in Ich-Form formuliert ist. Eröffnet wird BWV 56 von einer g-Moll-Arie mit Berceuse-Charakter, für die Bach vermutlich mit Rücksicht auf die Länge des zu vertonenden Textes eine unkonventionelle dreiteilige Form vom Schema A–A’–B gewählt hat. Das Kopfmotiv aus dem ersten Teil symbolisiert mit seinem übermäßigen Sekundschritt unmissverständlich den »Kreuzstab«, wobei das nachfolgende lange Melisma aus stufenweise fallenden Seufzerfiguren sinngemäß für das »Tragen« steht. Während A’ weitgehend dem Anfangsteil entspricht, bringt der B-Teil zu den Worten »Da leg ich den Kummer auf einmal ins Grab« eine völlig neue, triolische stark deklamatorische Gesangsthematik. In dem darauf folgenden Accompagniato-Rezitativ Mein Wandel auf der Welt wird ausgehend vom ersten Vers des Sonntagsevangeliums der menschliche Lebensweg mit einer Schiffsreise verglichen. Musikalisch manifestiert sich dies in einer Begleitfigur im Cello, die das Schaukeln eines Bootes auf den Wellen andeutet. Sobald von der Ankunft am Zielort – dem Himmelreich – die Rede ist, bricht diese Bewegung ab. Die zweite Arie steht in Da-capo-Form und bildet durch ihren Tanzrhythmus einen betonten Gegensatz zum Lamento der Eröffnungsarie. Aus ihr spricht die freudige Zuversicht des Gläubigen, durch den Heiland schließlich ins ersehnte Himmelreich zu gelangen. In ausgedehnten Figurationen und Koloraturen konzertieren darin Solo-Oboe und Solo- Bariton miteinander. Der als Rezitativ mit Streicherbegleitung beginnende folgende Satz mündet nach nur sieben Takten in den kaum veränderten letzten Teil der ersten Arie. Das Werk schließt mit der sechsten Strophe Komm, o Tod, du Schlafes Bruder des vierstimmigen Chorals Du, o schönes Weltgebäude von Johann Franck aus dem Jahr 1653 in gewohnter Schlichtheit. Diese Textstrophe verweist dabei wiederum nicht nur auf eine gewisse zeitgemäße Sehnsucht nach dem ewigen Leben, sondern auch auf das Bildnis vom Leben als Schifffahrt.
Die ebenfalls dem dritten Leipziger Kantatenjahrgang zugeordnete Kantate BWV 82 Ich habe genug entstand wenig später als die Kreuzstab-Kantate für den Gottesdienst zum Fest Mariä Reinigung am 2. Februar 1727. Zwar komponierte Bach die sehr beliebte Kantate zunächst für Solo-Bariton, Oboe, Streicher und Continuo in c-Moll, überarbeitete sie jedoch für zahlreiche weitere Aufführungen immer wieder. Das Rezitativ Ich habe genug und die darauf folgende Arie Schlummert ein finden sich außerdem als Abschriften im Notenbüchlein der Anna-Magdalena Bach. Inhaltlich geht es im Text des unbekannten Autors um den zum Fest Mariä Reinigung gehörenden Evangelienbericht der Darstellung von Jesu im Tempel mit dem greisen Simeon (Lk 2,22 – 40). In Ich-Form wird dabei eindrücklich der Gemütszustand des alten Mannes in den Mittelpunkt gerückt. Insgesamt umfasst die Kantate drei Arien, die in durchgehend gleicher Besetzung zwei Rezitative umschließen, wobei ein Schlusschoral ungewöhnlicherweise fehlt. Die erste Arie folgt dem ausgefallenen Schema A–B–B’ und wird von einer ausdrucksvollen Oboenmelodie über ruhig bewegter Streicherbegleitung eröff net. Wegen der abwärts gerichteten Sexte in der Oboe, die im Verlauf der Arie in verschiedenerlei Varianten wiederholt wird, wurde das Stück häufig mit der h-Moll-Arie Erbarme dich, mein Gott aus der Matthäus-Passion verglichen. Der dankbar-beglückte Ausspruch »Ich habe genug«, der dem Simeon vom Textdichter in den Mund gelegt wurde, kehrt dabei das gesamte Stück hindurch immer wieder. Nach einem Secco-Rezitativ, das die Anfangsworte der Kantate nochmals in neuer Vertonung aufgreift, folgt eine zweite Arie in pastoralem G-Dur, die auch als »Schlummerarie« bekannt wurde und deren herkömmliche Da-capo-Form rondoartig erweitert scheint(A–B–A–C–A). Nicht nur die atypische Anlage, sondern auch die oftmaligen Orgelpunkte im Continuo, der Wiegenlied-Rhythmus mit seinen typischen Synkopen sowie die ungewöhnliche melodische Floskel der aufsteigenden kleinen Septim machen diese Arie unverwechselbar. Das Rezitativ, das darauf folgt, geht direkt von Simeons Lobgesang aus. Es leitet schließlich zu der freudig bewegten tanzartigen Vivace-Arie Ich freue mich auf meinen Tod im 3/8 -Takt und einer freien Da-capo-Form über, die periodisch klar gegliedert erscheint, durch rhythmische Impulse belebt ist und in der die immer wieder betonte Zuversicht auf ein besseres Leben im Himmelreich deutlich hervortritt.
Im Gegensatz zu den beiden anderen Kantaten ist Der Friede sei mit dir (BWV 158) eher unbekannt. Dies mag daran liegen, dass das Werk lediglich als Abschrift in zwei Manuskripten – einer Partitur und einem Stimmbuch – existiert, die beide erst einige Zeit nach Bachs Tod niedergeschrieben wurden. Verschiedene Angaben für einen möglichen Aufführungsanlass, das mangelnde Wissen über die Originalbesetzung sowie die Unbekanntheit des Textdichters gaben lange Zeit Rätsel über die Entstehungsgeschichte dieser Kantate auf. So lassen sich die Ecksätze textlich eindeutig auf das Osterfest beziehen, die Mittelsätze scheinen allerdings thematisch eher für Mariä Reinigung geeignet zu sein. Neuere Forschungen ordnen die Entstehung der Kantate nun dem Ende der 1720er Jahre zu und vermuten eine Bestimmung für den dritten Ostertag. Eröffnet wird BWV 158 von einem Secco-Rezitativ, das mehrfach auf den einleitenden Ostergruß Der Friede sei mit dir zurückkommt und sich zum Ende des Satzes hin arios verbreitert. Darauf folgt als Herzstück der gesamten Kantate eine besonders kunstvoll gestaltete »Aria con Corale«: Bach kombinierte eine koloraturreiche Bariton-Stimme mit der von der Oboe vorgetragenen ersten Strophe des Liedes Welt, ade, ich bin dein müde von Johann Georg Albinus (1649) nach der Melodie Johann Rosenmüllers. Über das vom Continuo gestützte Stimmgefüge erklingt in reichen Figurationen eine Solovioline, deren Stimmführung tiefere Klangregionen fast völlig vermeidet, woraus man schließt, dass diese Partie auch für Querflöte konzipiert gewesen sein könnte. Das auf die Arie folgende Secco-Rezitativ Nun Herr, regiere meinen Sinn greift am Satzende die Schlussworte der voraus gegangenen Arie auf und mündet in einen liedhaften Schluss. Den letzten Teil der Kantate bildet die fünfte Strophe des Luther-Chorals Christ lag in Todesbanden aus dem Jahr 1524 in schlichtem Satz zur Melodie von Johann Walter.
HENRIETTE-CHRISTINE BOEHM
Henriette-Christine Boehm wurde 1975 geboren und wuchs in Leipzig auf. Sie studierte an der Schola Cantorum Basiliensis bei Katharina Arfken und schloss dort mit dem Solistendiplom ab. Ihre Ausbildung ergänzte sie durch ein Aufbaustudium bei Ku Ebbinge am Königlichen Konservatorium in Den Haag. Sie nahm an verschiedenen Meisterkursen teil, u.a. bei Alfredo Bernardini. Mit Schwerpunkt auf das Repertoire des 18. Jahrhunderts hat sich Henriette-Christine Boehm auf das Spiel historischer Oboeninstrumente des Vorbarock bis hin zur Klassik spezialisiert. Sie verfolgt eine rege Konzerttätigkeit mit verschiedenen Ensembles der Alten Musik wie L’arpa festante, Cantus Cölln, La Cetra Basel, der Akademie für Alte Musik Berlin sowie dem Freiburger Barockorchester. Tourneen führten sie durch Ost- und Westeuropa, nach Japan und in die USA. Ferner wirkte sie bei Rundfunk-, CD- und Fernsehaufnahmen mit.
CHRISTOPH HESSE
Christoph Hesse, 1963 geboren, bekam seinen ersten Violinunterricht mit 6 Jahren an der Musikschule Meerbusch. Wichtige musikalische Impulse gab ihm ab 1977 Rolf Schweizer in Pforzheim. Während seines studiums der Jura, Musikwissenschaft und Philosophie war er acht Jahre Konzertmeister des Universitätsorchesters Heidelberg. Von 1994 bis 2000 arbeitete er als Rechtsanwalt, seit dem Jahr 2000 ist er als freiberufl icher Musiker tätig. Bereits seit 1986 beschäftigt sich Christoph Hesse intensiv mit historischen Streichinstrumenten. Im Jahr 1988 wurde er Mitglied des Barock- orchesters L’arpa festante, dem er seit 1995 als Konzertmeister und Organisator vorsteht. Zudem agiert er als Mitglied weiterer namhafter Ensembles für alte Musik und übt eine ausgedehnte solistische Tätigkeit als Barockgeiger aus. Überdies unterrichtet Christoph Hesse an der Frankfurt International School in Oberursel.
L’ARPA FESTANTE
L’arpa festante, das zur Eröff nung des Münchner Opernhauses 1653 aufgeführte dramatische Werk Giovanni Battista Maccionis, steht für die künstlerische Arbeit und das musikalische Engagement des gleichnamigen Barockorchesters. Bereits 1983 gegründet und damit eines der traditionsreichsten deutschen Ensembles für Alte Musik, hat sich L’arpa festante nichtnur als unverwechselbarer Klangkörper bei der Auff ührung von Instrumentalwerken,sondern auch als Partner leistungsfähiger Chöre bei Darbietungen der gesamten barocken, klassischen und romantischen Chor-Orchester-Literatur einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Besonders die Wiederentdeckung und -auff ührung unbekannter Werke des süddeutschen Hochbarock auf Originalinstrumenten stellt einen der Schwerpunkte des Ensembles dar. Je nach musikalischen Bedürfnissen der aufgeführten Werke gehen hier die Ensemblegrößen von der Solo-Besetzung bis hin zur vollen Orchestergröße von ca. 40 Musikern. In diesen Konstellationen wurden nahezu alle bedeutenden Chor-Orchesterwerke des 18. und 19. Jahrhunderts erarbeitet. Zahlreiche von Kritik und Publikum begeistert aufgenommene CD-Einspielungen haben L’arpa festante dabei weithin bekannt gemacht.
CHRISTOPH ANDREAS SCHÄFER
Christoph Andreas Schäfer, geboren in Wertheim am Main, studierte Kirchenmusik in Heidelberg und Düsseldorf mit Abschluss Staatsexamen. Von 1986 bis 1990 war er Assistent von Oskar Gottlieb Blarr an der Neanderkirche in Düsseldorf. Nach seiner ersten hauptberuflichen Tätigkeit von 1991 bis 1994 als Kantor in Walsrode (Lüneburger Heide) arbeitete er bis 1998 als Kirchenmusiker an der Christuskirche Freiburg. Seit 1998 ist Christoph Andreas Schäfer als Kantor an der Heiliggeistkirche in Heidelberg tätig und widmet sich dort neben seiner Organistentätigkeit intensiv der Arbeit als Chordirigent mit zahlreichen Oratorienauff ührungen und Urauff ührungen. Er leitet die Heidelberger Studentenkantorei und gründete die Heidelberger Kinderkantorei sowie die Junge Kantorei Heiliggeist. Außer dem ist er als Lehrbeauftragter an der Musikhochschule Freiburg und künstlerischer Leiter der Freiburger Kinder- und Jugendkantorei tätig. Als Organist und Chordirigent konzertierte er in zahlreichen europäischen Ländern sowie in Syrien und den USA.